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Abriss zur Geschichte der Kanti Frauenfeld 

Vorgeschichte der Gründung

Schon bald nach der Gründung des Kantons Thurgau 1803 wurde klar, dass die Schulbildung allgemein und die höhere Schulbildung im Speziellen dringend verbessert werden musste. Eine höhere Schulbildung war nicht nur für das Studium an einer Universität nötig, sondern wurde auch für höhere Ämter in der kantonalen Verwaltung und für Impulse des Thurgauer Gewerbes gewünscht. Doch erst in der Regeneration der dreissiger Jahre gelang es, die Volksschulbildung wirklich voranzubringen und 1833 ein Thurgauer Lehrerseminar in Kreuzlingen einzurichten. Jetzt schien auch die Zeit reif für eine eigene Kantonsschule. Doch setzten bald erbitterte Diskussionen ein, wo denn die Schule erbaut werden sollte. Neben Frauenfeld machten auch Diessenhofen und Weinfelden namhafte Angebote. Gegen die Hauptstadt bestand weit verbreiteter Widerwillen, denn diese war als ehemaliger Landvogteisitz als «Aristokratenstadt» verschrieen. Zudem kam noch die Diskussion auf, ob nicht statt einer Kantonsschule besser acht Bezirksschulen zu errichten seien. Diese könnten zwar weniger hoch gesteckte Lehrziele erreichen, aber eine gleichmässigere bürgerliche Bildung aller Klassen des Volkes und aller Teiles des Kantons erzielen.

1847 endlich beschloss der Grosse Rat doch die Gründung einer Kantonsschule mit Konvikt auf das Jahr 1851 und bestimmte Frauenfeld als Standort, nicht zuletzt weil dieses sich anerbot, das Schul- und Konviktgebäude samt Holz- und Turnschopf, laufendem Brunnen und weiteren Leistungen zur Verfügung zu stellen. Dagegen erwartete die Stadt, dass die Knaben sowie drei Lehrer der bestehenden Sekundarschule übernommen würden.

Frauenfeld ging auch sofort an die Arbeit und erbaute innerhalb von vier Jahren an der Promenadenstrasse das Schulgebäude (heute die Kantonsbibliothek). Doch erst 1852 erliess der Grosse Rat ein neues Unterrichtsgesetz, worin das Recht, eine Kantonsschule zu errichten, verankert war. Dagegen erhob sich nun aber wachsende Opposition: Zuerst wurde argumentiert, dass das Seminar, die landwirtschaftliche Schule und die Kantonsschule nahe beieinander liegen müssen, damit der Lehrkörper gut ausgenutzt werden könne. Schliesslich kam unter dem Motto «Das Klostererbe dem Volk» und «Wir wollen keine Herrenschule» nicht nur das Veto zustande, sondern das ganze Gesetz wurde wuchtig verworfen.

Dieses Verdikt führte dazu, dass in den folgenden Wahlen ein beträchtlicher Teil des Grossen Rats und des Regierungsrats nicht wieder gewählt wurde. Auch der bisherige Erziehungsrat trat zurück und ein neuer unter dem Präsidenten Thomas Scherr wurde eingesetzt. Die frisch gewählten Räte legten bereits ein Jahr später ein überarbeitetes Unterrichtsgesetz vor, das nun allseits akzeptiert wurde. Das neue Gesetz verbesserte die Situation aller Schulen, indem aus dem verstaatlichten Klosterbesitz namhafte Beträge an die Schulgemeinden flossen. Der Eröffnung der Kantonsschule auf das Wintersemester 1853/54 stand nun nichts mehr im Wege.
 

Eröffnung 1853

Am 14. November 1853 wurde die neue Kantonsschule feierlich eröffnet. Stadtpräsident, Rektor, Erziehungsratspräsident und Regierungsratspräsident hielten Ansprachen und übergaben das Gebäude seiner Bestimmung. Im neuen Schulhaus befanden sich nicht nur die Unterrichtszimmer, sondern auch die Wohnungen von Rektor und Konviktführer, der Schlafsaal für 30 Schüler und weitere Räume wie Speisesaal, Vorratskammer und Arbeitsräume für die Konviktschüler. Unterrichtet wurden im ersten Semester 81 Schüler, davon wohnten 18 im Konvikt. Man teilte die Schüler nach ihrem Alter ungefähr in drei Gymnasial- und vier Industrieklassen ein. Das erste Schuljahr wurde mit sechs Lehrkräften
 
eröffnet. Gründungsrektor wurde Dekan Ulrich Benker aus Diessenhofen, erster Konviktführer Johann Jakob Sulzberger, der von der Stadtschule Frauenfeld kam. Nachdem der Lehrunterricht aufgenommen wurde, stellte man fest, dass der Deutsch- und Geschichtslehrer für die oberen Klassen vergessen gegangen war. Dafür wählte die Behörde aus 69 Bewerbungen den jungen Stuttgarter Theologen Rudolf Menzel aus, der bereits auf Neujahr angestellt wurde.


Die ersten Jahrzehnte der Kantonsschule Frauenfeld

Die neue Lehrkraft Rudolf Menzel erhielt nicht nur ein volles Pensum, sondern musste sich auch verpflichten, jede Nacht im Schlafsaal des Konvikts zu verbringen. An seiner Person und dem Mathematiklehrer Johannes Orelli, vorher Sekundarlehrer in Winterthur, entzündeten sich bald heftige Auseinandersetzungen. Orelli wurde vorgeworfen, dass er seine Schüler derart mit Hausaufgaben zudecke, dass für andere Fächer keine Zeit mehr bleibe. Menzel wiederum wurde seine rege Teilnahme am geselligen Leben der Stadt vorgehalten. Der Streit um und zwischen den beiden führte zu unerfreulichen Auseinandersetzungen im Lehrkörper und in den vorgesetzten Behörden. Schliesslich verliessen 1857 beide Exponenten kurz nacheinander Frauenfeld.

Die Schüler der Kantonsschule bildeten das sogenannte Kadettenkorps, das wöchentlich in eigenen Uniformen Exerzier- und Schiessübungen auszuführen hatte. Geleitet wurde das Korps in der ersten Zeit vom Tägerwiler Johann Konrad Egloff, der nicht nur eifriger Förderer der Kantonsschule und seit 1848 Regierungsrat war, sondern auch im Sonderbundskrieg von 1847 als Brigadekommandant im entscheidenden Gefecht bei Gisikon gesiegt hatte. Bald ergaben sich aber Differenzen zwischen Egloff und der Lehrerschaft. Diese wandte sich gegen eine Order, in Uniform seien auch die Lehrer militärisch zu grüssen, und unterstützten nach Meinung des Kadettenkorps-Leiters allgemein zu wenig die Waffenübungen, so dass dann Egloff verärgert von seinem Posten zurücktrat.

In den sechziger Jahren wurden an der Kantonsschule die beiden noch heute bestehenden Schülervereinigungen Thurgovia und Concordia gegründet. Die erste wurde 1862 von Ludwig Forrer ins Leben gerufen, dem seine Mitschüler den Spitznamen «Bundesrat» gegeben hatten und der tatsächlich 1902 Mitglied des Bundesrates wurde.

Die Kantonsschule erlebte in den ersten Jahren ihres Bestehens gravierende Veränderungen. Die Schülerzahl stieg innerhalb von zehn Jahren auf über 200, stagnierte dann und stieg kurz vor der Jahrhundertwende auf über 300. Entsprechend veränderte sich die Anzahl der Lehrkräfte. Sie verdoppelte sich bis Ende der sechziger Jahre auf 15, um 1900 waren es 20. In den fünfziger Jahren bestand fast die Hälfte des Lehrkörpers aus Deutschen, unter anderem war auch ein Lehrer (Dr. Dagobert Böckel) dabei, der später Abgeordneter des Norddeutschen Reichstags wurde und jährlich einige Wochen für die Sessionen in Berlin beurlaubt wurde. Im 19. Jahrhundert dauerte das Gymnasium zuerst sechs, später sieben Jahre; es bereitete auf das Universitätsstudium vor. Die Industrieschule dauerte zunächst fünf, später sechs Jahre; sie bereitete einerseits auf das Polytechnikum, andererseits auf das Lehrfach vor. Die unteren Klassen der Industrieschule ersetzten im Kreis Frauenfeld die Knabensekundarschule.


Entwicklung im 20. Jahrhundert

Nachdem bereits wenige Jahre nach der Eröffnung der Schule die Schülerzahl sich verdoppelt hatte, musste schnell zusätzlicher Schulraum geschaffen werden. 1865 wurde deshalb hinter der bestehenden Kantonsschule das sogenannte Hinterhaus (das spätere Konvikt und das heutige Obergericht) errichtet. Doch bereits um 1900 war die Raumfrage wieder akut. Nun erwog man die Abtrennung der unteren Industrieabteilung als eigene Sekundarschule. Doch wandte sich auch Frauenfeld dagegen und unterstützte grosszügig einen Neubau an der Ringstrasse. Dieser konnte nach einer zweiten Volksabstimmung 1908 gebaut und 1911 eingeweiht werden. Das neue Gebäude war so grosszügig konzipiert, dass es bis in die sechziger Jahre genügend Schulraum bot. Dann waren aber eine Reihe von Schulbaracken nötig, bis die Zeit für einen Neubau reif war, der 1993 bezogen werden konnte. Im Turnunterricht war von Anfang an bis ins Jahr 2003 die ursprüngliche Turnhalle, die sogenannte Konviktturnhalle, in Gebrauch. Erst 1968 wurden zwei zusätzliche Turnhallen gebaut, und 2003 wurde die neue Dreifachturnhalle bezogen. Diese bauliche Entwicklung spiegelt sich auch in den Schüler- und Lehrerzahlen. Zu Beginn des Jahrhunderts besuchten rund 300, um 1940 etwa 400 Knaben die Schule, am Ende des 20. Jahrhunderts sind es rund 1000 Schülerinnen und Schüler. 1910 wurde die erste Schülerin aufgenommen und 1919 bestanden die ersten beiden Frauen die Matura. Noch extremer ist die Entwicklung der Lehrerzahl. Um die Jahrhundertwende waren 20 Lehrer angestellt; heute sind es rund 130 Lehrkräfte, allerdings unterrichtet ein Grossteil davon kein volles Pensum. Die erste Hauptlehrerin wurde erst 1958 an die Schule gewählt. Im 19. Jahrhundert waren die Rektoren durchschnittlich bereits nach gut vier Jahren amtsmüde, im 20. Jahrhundert hielten sie es im Durchschnitt mehr als elf Jahre aus.

Wenn man die einzelnen Abteilungen der Kantonsschule anschaut, erkennt man, dass sich die Schule im 20. Jahrhundert wesentlich entwickelt hat. Kern der Schule blieben die beiden Maturitätslehrgänge, das Gymnasium und die Industrieschule. 1925 wurde in einer grossen Maturitätsreform die Dauer beider Züge auf sechs Jahre reduziert und die Industrieschule wurde bald darauf in Oberrealschule umgetauft. Bereits bei der Gründung der Kantonsschule waren auch merkantile Klassen vorgesehen, die jeweils parallel zur 4. und 5. Industrieschule geführt wurden. 1913 wurden diese formell zu einer dreijährigen Handelsschule mit Diplomabschluss aufgewertet.

Zwischen dem Ende der fünfziger Jahre und dem Beginn der siebziger Jahre erfolgten einschneidende Änderungen. Nun wurde die Knabensekundarschule ausgegliedert, die Handelsschule an die dritte Sekundarklasse angegliedert, eine Mädchenschule (die höhere Töchterschule und spätere Diplommittelschule) eingeführt und das Wirtschaftsgymnasium als dritte Maturitätsschule gegründet. Und schliesslich wurden 1969 in Romanshorn und Kreuzlingen zwei weitere Thurgauer Kantonsschulen eröffnet.

Am Ende des Jahrhunderts fanden nochmals einschneidende Veränderungen statt. Jetzt wurde das Untergymnasium ersatzlos gestrichen und im neuen Maturitätsreglement die sogenannte Einheitsmatur und die Reduktion auf vier Jahre eingeführt. Erst ganz jung ist die neueste Abteilung der Kantonsschule Frauenfeld: Seit dem Jahr 2000 wird eine Informatikmittelschule geführt. Nebst all diesen eher äusserlichen Veränderungen hat sich auch der Schulalltag im Vergleich zu den Anfängen geändert. Der traditionelle Fächerkanon ist durch eine ganze Anzahl von neuen Fächern ergänzt worden, was natürlich heisst, dass der frühere breite Inhalt der «alten» Fächer aufs «Wesentliche» zusammengeschmolzen ist. Daneben haben sich die Unterrichtshilfsmittel ganz grundlegend geändert. Neben den klassischen Schulbüchern sind heute allerlei Hilfsmittel, vom Hellraumprojektor bis zum «Beamer», im Einsatz. Trotzdem geht es natürlich immer noch ums Gleiche wie 1853. Die Lehrkräfte haben die Aufgabe, den Lernenden den Unterrichtsstoff zu vermitteln. Am Schluss sollen die Schülerinnen und Schüler mit einem breiten Wissen an die höheren Schulen oder in die Berufe entlassen werden.

Peter Giger, Lehrer für Deutsch und Geschichte

Benutzte Literatur:
Schwarz, René: Schule und Erziehung: Kantonsschule Frauenfeld. In: Geschichte des
Kantons Thurgau, Bd. 3, Frauenfeld 1994, S. 152-164.
Leisi, Ernst: Hundert Jahre Thurgauische Kantonsschule 1853-1953, Frauenfeld 1953